Der Elysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich, aber auch das 60jährige Bestehen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Frankreich haben den Grundstein gelegt für einen intensiven wissenschaftlichen, literarischen, musisch- und bildkünstlerischen Austausch zwischen den beiden Ländern. Diese Zusammenarbeit wurde auch ein Vorbild für andere interkulturelle Länderbeziehungen und -forschungen.
Bei dieser Tagung soll über die deutsch-französische Grenze (und darüber hinaus) reflektiert werden, inwiefern der Kulturtransfer im Werk und Leben Kunstschaffender und -vermittelnder an seine Grenzen geriet, gebremst wurde oder überhaupt nicht funktionierte. Mit der Auseinandersetzung dieser Probleme können möglicherweise Ansätze, Lösungsvorschläge oder wissenschaftliche Hypothesen gefunden werden, die den interkulturellen und intellektuellen Austausch zukünftig fördern und dauerhaft produktiv verankern können.
In Vorträgen von entweder 15 oder 30 Minuten soll erörtert werden, welche literarische Vermittlerarbeit einer AutorIn, welche Übersetzung oder welches künstlerische Werk nicht oder nur schwierig zustande kam zwischen zwei oder mehreren Ländergrenzen; aus welchen Gründen dies geschah und was wir daraus lernen können als Forschende und Kulturschaffende. Als Kulturvermittelnde sind dabei all jene zu verstehen, die mit ihren literarischen oder wissenschaftlichen Werken, Bildern, Musikstücken oder anderen Beiträgen zur Kulturmittlung über Landesgrenzen hinaus beigetragen haben. Gerne können dabei auch weniger oder bisher eher unbekannte Werke und AutorInnen vorgestellt werden. Interdisziplinäre Beispiele sind ausdrücklich willkommen. Komplett online & zweisprachig Die Tagung wird komplett online und komplett zweisprachig stattfinden (Deutsch und Französisch). Sie wird von SimultandolmetscherInnen ins Französische und Deutsche verdolmetscht.
Wenn Sie ein interessantes Thema vorstellen möchten, freuen wir uns über Ihren Abstract in deutscher oder französischer Sprache, den Sie mit einer biographischen Notiz bis zum 31. Mai per E-Mail an verena.ott@daad-lektorat.de und theresa.heyer@daad-lektorat.de senden können. Beiträge von Nachwuchsforschenden sind ebenfalls herzlich willkommen!
Wir freuen uns über Beiträge aus verschiedenen Disziplinen in deutscher oder französischer Sprache, in denen die Grenzen der Kulturmittlung von AutorInnen, KünsterInnen, MusikerInnen, ÜbersetzerInnen, WissenschaftlerInnen oder anderer Kulturschaffender in Frankreich, Deutschland oder anderen Ländern thematisiert werden. Beiträge aus den Literatur-, Musik-, Kultur-, Geschichts-, Bild-, Film- und Medienwissenschaften sowie der Philosophie sind willkommen. Dabei sind gut und weniger gut erforschte Werke und KünstlerInnen ebenfalls von Interesse.
Harmonie ist im Duden als Einklang oder Eintracht definiert, als wohltönender Zusammenklang dessen, was eigentlich verschieden ist. Dieses produktive Element des Zusammentreffens von Kulturen soll am Beispiel von Deutschland und Frankreich und auch anderen Ländern im Zentrum der im September 2023 im online Format stattfindenden Tagung stehen, jedoch mit dem Fokus auf dem Missklang, dessen was entsteht, wenn die Verbindung der Klänge als unharmonisch wahrgenommen wird und die Dissonanz nicht unmittelbar aufgelöst werden kann, sondern sich im Werk niederschlägt.
Anschauliches Beispiel hierfür ist Goethe, der von seinem Vater 1770 zum Studium und Spracherwerb ins französische Straßburg geschickt wurde. Wider Erwarten wurde Goethes Doktorarbeit jedoch abgelehnt und statt sich der französischen Kultur zu widmen, umgab er sich mit einem Kreis ambitionierter junger Schriftsteller aus Deutschland, die aus Straßburg ein Zentrum der literarischen Bewegung des Sturm und Drang machten, wie er anschaulich in Dichtung und Wahrheit schildert. Während seines Aufenthalts entdeckte er etwas, was er als „deutsch“ definieren sollte und mit der abgelehnten französischen Kultur kontrastierte. In Texten wie Von deutscher Baukunst (1772), die dem deutschen Nationalismus durch die Idee einer Nationalkultur Auftrieb geben sollte, schlägt sich dies nieder.
Dem gegenüber steht auf der anderen Seite des Rheines seine Zeitgenossin Germaine de Staël, die mit dem in De l’Allemagne (1813) entworfenen idealisierten Deutschlandbild die französische Wahrnehmung des Nachbarn für Generationen prägte. Motiviert war ihre Anstrengung, sich die deutsche Sprache und Kultur anzueignen – durch ihre Definition Frankreichs als zwischen der mediterranen Kultur und germanischen Kultur stehend, wobei letztere als Inspirationsquelle noch Förderung bedurfte. Sie sah sich selbst in einer Rolle als Kulturvermittelnde, ein Selbstbild, das herausgefordert wurde, als sie im Zuge einer Deutschlandreise den Rhein, jenen Limes zwischen den Ländern überschritt, und auf einmal weder den Eigenarten der deutschen Sprache und der Menschen, noch der Natur etwas abgewinnen konnte.
Zum Kreis dieser KulturvermittlerInnen gehört auch die große Gruppe deutscher Exilschriftsteller, die es zumeist nach Paris zog. So etwa Heinrich Heine, der sich ab den 1830er Jahren im Pariser Exil befand und sich im Anschluss an De Staël um ein aktualisiertes Bild deutscher Literatur in Frankreich bemühte. Er beobachtete und kommentierte aber auch, ebenso wie etwa Ludwig Börne und Georg Büchner, das Geschehen in der Heimat und versuchte durch seine schriftstellerische und Übersetzungstätigkeit revolutionäre Ideen nach Deutschland zu bringen. Der mit Heine befreundete französische Schriftsteller Gérard de Nerval übersetzte diesen, aber auch andere deutsche Lyrik ins Französische.
Die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts sollten vor allem deutsche Kulturschaffende über den Rhein spülen. Zu den prominentesten unter ihnen zählen sicher die tragische Figur Walter Benjamins, der sich in seinem Werk intensiv mit der französischen Kultur auseinandersetzte, etwa in seinen Baudelaire-Übertragungen, aber auch politisch engagierte Autoren wie Alfred Döblin, der während seines Exils für das französische Propagandaministerium tätig war, oder Kurt Tucholsky, der weiter journalistisch in Deutschland tätig blieb und versuchte zwischen beiden Ländern zu vermitteln. Rainer Maria Rilke, der sich intensiv mit der französischen Kultur beschäftigte, übertrug Verlaine, Valery und Mallarmé ins Deutsche. Der deutschsprachige Autor und Holocaust-Überlebende Paul Celan übersetzte während seiner Zeit in Paris ebenfalls Lyriker wie René Char und Rimbaud. Umgekehrt wurden Autoren wie E.T.A. Hoffmann in Frankreich zu Klassikern und beeinflussten wichtige Autoren wie Honoré de Balzac, Victor Hugo. Charles Baudelaire, Guy de Maupassant und Theophile Gautier. Der deutsch-französische Komponist Jacques Offenbach setzte diesem Austausch mit Hoffmanns Erzählungen ein Denkmal. Zu der Gruppe der Vermittler gehören auch Kulturschaffende aus dem Elsass, die aufgrund der Lage dieser Region zwischen Deutschland und Frankreich eine besondere Rolle einnehmen, wie der französische Germanist Carl Robert Minder (1902-1980), der Autorübersetzer Ernst Stadler (1914 gefallen), der Schriftsteller René Schickele (1882-1940), der sich nach dem ersten Weltkrieg für die deutsch-französische Verständigung engagierte und mit Beginn des Zweiten enttäuscht nach Südfrankreich floh, sowie der Grafiker Tomi Ungerer (1931-2019), der sich vor allem für die elsässische Identität zwischen den Kulturen stark machte.
Im Feld der Musik gab es zu allen Zeiten einen regen europaweiten Austausch, wohl auch dadurch bedingt, dass Musik keine Sprache kennt und Noten universell lesbar sind, so dass kein Übersetzer nötig ist. Veranschaulicht sei dies am Beispiel Chopins, der u.a. Bach und Mozart zu seinen Vorbildern zählte, aber auch Wagner, den die Nationalsozialisten zum deutschesten aller deutschen Komponisten erklärten. Er hielt sich mehrmals in Paris auf, wobei es auch zu Aufführungen seiner Werke kam, was in den 1860er Jahren eine große Wagner Begeisterung auslöste. Selbst Baudelaire verfasste eine Studie über den deutschen Komponisten.
Paris galt im 19. und 20. Jahrhundert als Kulturhauptstadt Europas, so dass es viele bildende Künstler aus Deutschland dorthin zog. Diese beeinflussen wiederum die französischen Künstler vor Ort. Dieser Austausch war für die Impressionisten nach dem französisch-preußischem Krieg erschwert, wie Max Liebermann erfahren sollte, der sich zwischen 1873 und 78 in Paris aufhielt und es nicht schaffte dort als Künstler Fuß zu fassen, später jedoch dafür sorgte, dass Bilder französischer Impressionisten für deutsche Museen erworben wurden. Überhaupt nehmen Kunsthändler wie Daniel-Henry Kahnweiler und Wilhelm Uhde für die Kunstvermittlung eine entscheidende Rolle ein, indem sie die Kunst der französischen Avantgarde nach Deutschland brachten. Die Expressionistin Paula Modersohn- Becker besuchte Paris um die Jahrhundertwende mehrmals und gehörte zu den ersten, die dort die Bedeutung der Kunst Cezannes entdeckten, der entscheidender Ideengeber für die Moderne werden sollte. Auch der expressionistische Maler Fritz Stuckenberg lebte von 1907 bis 1921 in Paris und war dort sehr erfolgreich. Max Ernst hielt sich ab 1922 in Paris und schloss sich dort der Gruppe der Surrealisten an. Der Bauhauslehrer Paul Klee beschäftigte sich in Paris mit der Farbtheorie Robert Delaunays, übersetzte ihn, und wurde selbst von den Surrealisten begeistert rezipiert.
Diese und ähnliche Beispiele brachten uns auf die Idee, sich intensiver mit Werken und AutorInnen im Austausch zu beschäftigen und die Grenzen, auf die sie dabei stoßen, aufzuzeigen.
Eine Veröffentlichung des Tagungsbandes (auf Deutsch und Französisch) ist geplant.